LG Bonn: Streitwert bei Unterlassen von Cold Calls bei Unternehmern beträgt 4.000,00 Euro

Den Streitwert für eine auf Unterlassen von ohne Einwilligung erfolgenden Werbeanrufen bei einem Unternehmer gerichtete Klage sieht die 7. Zivilkammer des Landgerichts Bonn bei 4.000,00 Euro. Dies soll auch dann gelten, wenn es aufgrund des Werbeanrufs zu einem ungewollten (strittig: durch Täuschung verursachten) Vertragsabschluss kam.

Kommt es aufgrund eines Cold Calls zu einem ungewollten (strittig: durch Täuschung verursachten) Vertragsabschluss, steht eine vermeintliche Gerichtsstandsvereinbarung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des anrufenden Unternehmens dem deliktischen Gerichtsstand nicht entgegen.


LG Bonn, Beschluss vom 17.06.2016, 7 O 96/16:

In dem Rechtsstreit

[…]

erklärt sich das Landgericht Bonn für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin gemäß § 281 ZPO ohne mündliche Verhandlung an das Amtsgericht Euskirchen.

Gründe

Der Rechtsstreit war auf den Hilfsantrag der Klägerin an das Amtsgericht Euskirchen zu verweisen, weil dieses sachlich und örtlich zuständig ist.

1. Die Kammer bleibt auch unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags der Klägerin bei ihrer Auffassung , dass der Streitwert des Rechtsstreits bei 4.000,00 Euro liegt. Der Wert ist vorliegend nach billigem Ermessen zu schätzen (§ 3 ZPO), weil die Klageforderung keinen feststehenden, etwa bezifferten Wert hat. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Unterlassung weiterer Anrufe zum Zwecke der Werbung unter den in der Klageschrift näher geschilderten Modalitäten. Sie trägt vor, die Beklagte habe ihr mit einem so genannten „Cold Call“ einen Vertrag untergeschoben und hierdurch in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Hierbei handele es sich um eine unzumutbare Belästigung im Sinne des UWG. Der Unterlassungsanspruch ergebe sich aus Delikt (§ 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog).

Der Wert einer derartigen Belästigung ist nicht einfach zu bestimmen. Es handelt sich zunächst um eine immaterielle Beeinträchtigung. Darüber hinaus werde hierdurch der Betriebsablauf des Unternehmens beeinträchtigt, weil zusätzlicher Arbeitsaufwand entstehe. Schließlich sei die Klägerin arglistig getäuscht worden, was sinngemäß die Frage einer Vermögensgefährdung wegen des vermeintlichen Abschlusses eines Vertrages aufwirft. Im gewerblichen Bereich sei jedenfalls ein höherer Wert anzunehmen als im privaten Bereich.

Die Klägerin verweist auf diverse Beispiele aus der Rechtsprechung, namentlich auch in dem Schriftsatz vom 09.06.2016, aus denen sich ein Streitwert weit oberhalb von 5.000,00 Euro ergeben soll. Auf der anderen Seite hat die Beklagte ein Urteil des Amtsgerichts Kassel vorgelegt (420 C 4556/14, BI. 83 d.A.), in welchem der Streitwert insoweit auf 2.500,00 Euro festgesetzt wurde.

Bei der Schätzung des Werts hat die Kammer auch die Argumente der Klägerin abgewogen. Jedoch ist auch zu sehen, dass es sich bei dem Anruf um ein einmaliges Ereignis gehandelt hat, das sich zunächst auf den Zeitraum eines Telefonats beschränkte. Eine dauerhafte Beeinträchtigung – abgesehen von dem ausgelösten Arbeitsaufwand – lag nicht vor. Auch wurde der Betrieb der Klägerin nicht ernsthaft in Gefahr gebracht. Der Arbeitsaufwand hält sich in überschaubaren Grenzen, auch ist keine besonders hohe Vermögensgefährdung gegeben. Soweit die Klägerin auf den gewerblichen Aspekt hinweist, ist zudem anzumerken, dass bei einer privaten Belästigung die Beeinträchtigung höchstpersönlicher Güter, etwa des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, möglicherweise sogar stärker ausgeprägt sein kann als im Wirtschaftsleben.

Nach allem hält die Kammer an der Streitwertfestsetzung in Höhe von 4.000,00 Euro
fest.

2. Die Verweisung war an das Amtsgericht Euskirchen auszusprechen , weil dieses auch örtlich zuständig ist. Die Einwände der Beklagten hiergegen greifen nicht durch. Die Zuständigkeit ergibt sich vorliegend bereits aus dem deliktischen Gerichtsstand. Maßgeblich ist insoweit zunächst der Vortrag der Klägerin, die sich auf Delikt beruft und dies näher begründet. Ob tatsächlich ein deliktisches Verhalten vorgelegen hat, ist nicht im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen. Vor diesem Hintergrund geht auch der Hinweis auf eine angebliche Gerichtsstandsvereinbarung ins Leere. Denn die Klägerin macht keinen vertraglichen und auch keinen ggf. in schuldrechtlichem Zusammenhang stehenden deliktischen Anspruch geltend. Vielmehr behauptet sie, dass überhaupt kein Vertrag wirksam geschlossen worden sei, dass sie vielmehr im Rahmen eines „Cold Call“ überrumpelt und einer unzumutbaren Werbung ausgesetzt worden sei. Einen etwaigen Vertrag hat sie gemäß § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten. Auf eine vertragliche Vereinbarung kann es daher für die Begründung der Zuständigkeit nicht ankommen.

Bonn, 17.06.2016
7. Zivilkammer


Hinweis: Das Landgericht Bonn hatte sich zur Begründung des Streitwertes u.a. auf das Urteil 1. Zivilkammer vom 18.11.2009 – 1 O 379/08 – gestützt, in dem es um einen Cold Call bei einer Privatperson ging, der nicht zu einem Vertragsabschluss führte (Streitwert: 3.000,00 Euro). Das Landgericht Berlin geht in zwei gleichgelagerten Fällen gegen die gleiche Beklagte unproblematisch von einem Streitwert in Höhe von 7.500,00 Euro aus. Wir gehen davon aus, dass sich das LG Bonn spätestens in der Berufungsinstanz mit der Sache beschäftigen müssen wird.

Download: LG Bonn, Beschluss vom 17.06.2016, 7 O 96/16