EuGH: Doppelter Betrag der normalerweise fälligen Lizenzgebühren bei Urheberrechtsverletzungen mit Unionsrecht vereinbar

Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, wonach der Inhaber des verletzten Rechts des geistigen Eigentums von der Person, die dieses Recht verletzt hat, die Zahlung einer Geldsumme verlangen kann, die dem Doppelten der angemessenen Vergütung entspricht, die für die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Werks zu entrichten gewesen wäre, nicht entgegensteht.


EuGH, Urteil vom 25.01.2017, c-367/15 (Stowarzyszenie ./. Stowarzyszenie )

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

25. Januar 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2004/48/EG – Art. 13 – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Verletzung – Schadensersatzberechnung – Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats – Doppelter Betrag der normalerweise fälligen Gebühren“

In der Rechtssache C‑367/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof, Polen) mit Entscheidung vom 15. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juli 2015, in dem Verfahren

Stowarzyszenie „Olawska Telewizja Kablowa“

gegen

Stowarzyszenie Filmowców Polskich

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) und der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und F. Biltgen,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Stowarzyszenie „Olawska Telewizja Kablowa“, vertreten durch R. Comi und A. Comi, radcowie prawni,

– der Stowarzyszenie Filmowców Polskich, vertreten durch W. Kulis und E. Traple, adwokaci,

– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, M. Drwięcki und M. Nowak als Bevollmächtigte,

– der griechischen Regierung, vertreten durch A. Magrippi und E. Tsaousi als Bevollmächtigte,

– der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und G. Eberhard als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und F. Wilman als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 24. November 2016 folgendes


Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, und Berichtigung im ABl. 2004, L 195, S. 16).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Stowarzyszenie „Olawska Telewizja Kablowa“ mit Sitz in Oława (Polen) (im Folgenden: OTK) und Stowarzyszenie Filmowców Polskich mit Sitz in Warschau (Polen) (im Folgenden: SFP) über eine Klage wegen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums.


Rechtlicher Rahmen

Internationales Recht

In Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15. April 1994 (ABl. 1994, L 336, S. 214, im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen) in Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) (ABl. 1994, L 336, S. 3) heißt es:

„Die Mitglieder wenden die Bestimmungen dieses Übereinkommens an. Die Mitglieder dürfen in ihr Recht einen umfassenderen Schutz als den durch dieses Übereinkommen geforderten aufnehmen, vorausgesetzt, dieser Schutz läuft diesem Übereinkommen nicht zuwider, sie sind dazu aber nicht verpflichtet. …“

Art. 19 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in ihrer am 28. September 1979 geänderten Fassung (im Folgenden: Berner Übereinkunft) bestimmt:

„Die Bestimmungen dieser Übereinkunft hindern nicht daran, die Anwendung von weitergehenden Bestimmungen zu beanspruchen, die durch die Gesetzgebung eines Verbandslands etwa erlassen werden.“

Art. 2 Abs. 2 des am 26. Oktober 1961 in Rom geschlossenen internationalen Abkommens über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (im Folgenden: Rom-Abkommen) lautet:

„Die Inländerbehandlung wird nach Maßgabe des in diesem Abkommen ausdrücklich gewährleisteten Schutzes und der darin ausdrücklich vorgesehenen Einschränkungen gewährt.“


Unionsrecht

Die Erwägungsgründe 3, 5 bis 7, 10 und 26 der Richtlinie 2004/48 lauten:

„(3) Ohne wirksame Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums werden … Innovation und kreatives Schaffen gebremst und Investitionen verhindert. Daher ist darauf zu achten, dass das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums … in der [Union] wirksam angewandt wird. Daher sind die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Binnenmarkts.

(5) Das TRIPS-Übereinkommen enthält vornehmlich Bestimmungen über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, die gemeinsame, international gültige Normen sind und in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurden. Diese Richtlinie sollte die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten einschließlich derjenigen aufgrund des TRIPS-Übereinkommens unberührt lassen.

(6) Es bestehen weitere internationale Übereinkünfte, denen alle Mitgliedstaaten beigetreten sind und die ebenfalls Vorschriften über Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums enthalten. Dazu zählen in erster Linie die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst und das Rom-Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen.

(7) Aus den Sondierungen der Kommission zu dieser Frage hat sich ergeben, dass ungeachtet des TRIPS-Übereinkommens weiterhin zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede bei den Instrumenten zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums bestehen. So gibt es z. B. beträchtliche Diskrepanzen bei den Durchführungsbestimmungen für einstweilige Maßnahmen, die insbesondere zur Sicherung von Beweismitteln verhängt werden, bei der Berechnung von Schadensersatz oder bei den Durchführungsbestimmungen für Verfahren zur Beendigung von Verstößen gegen Rechte des geistigen Eigentums. In einigen Mitgliedstaaten stehen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe wie das Auskunftsrecht und der Rückruf rechtsverletzender Ware vom Markt auf Kosten des Verletzers nicht zur Verfügung.

(10) Mit dieser Richtlinie sollen diese Rechtsvorschriften einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.

(26) Um den Schaden auszugleichen, den ein Verletzer von Rechten des geistigen Eigentum verursacht hat, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, sollten bei der Festsetzung der Höhe des an den Rechtsinhaber zu zahlenden Schadensersatzes alle maßgebenden Aspekte berücksichtigt werden, wie z. B. Gewinneinbußen des Rechtsinhabers oder zu Unrecht erzielte Gewinne des Verletzers sowie gegebenenfalls der immaterielle Schaden, der dem Rechtsinhaber entstanden ist. Ersatzweise, etwa wenn die Höhe des tatsächlich verursachten Schadens schwierig zu beziffern wäre, kann die Höhe des Schadens aus Kriterien wie z. B. der Vergütung oder den Gebühren, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des besagten Rechts eingeholt hätte, abgeleitet werden. Bezweckt wird dabei nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz, sondern eine Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher.“

In Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2004/48 heißt es:

„(1) Unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften der [Union] oder der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, finden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe gemäß Artikel 3 auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im [Unions]recht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.

(3) Diese Richtlinie berührt nicht:

b) die sich aus internationalen Übereinkünften für die Mitgliedstaaten ergebenden Verpflichtungen, insbesondere solche aus dem TRIPS-Übereinkommen, einschließlich solcher betreffend strafrechtliche Verfahren und Strafen;

…“

Art. 3 („Allgemeine Verpflichtung“) der Richtlinie lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten sehen die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind. Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen fair und gerecht sein, außerdem dürfen sie nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen.

(2) Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen darüber hinaus wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.“

Art. 13 („Schadensersatz“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat.

Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte wie folgt:

a) Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber,

oder

b) sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.“


Polnisches Recht

In Art. 79 Abs. 1 der Ustawa o prawie autorskim i prawach pokrewnych (Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte) vom 4. Februar 1994 (konsolidierte Fassung, Dz. U. 2006, Nr. 90, Position 631) in der im Zeitpunkt der Erhebung der Klage des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Fassung (im Folgenden: UPAPP) hieß es:

„(1) Ein Rechtsinhaber, dessen Urhebervermögensrechte verletzt wurden, kann von der Person, die diese Rechte verletzt hat, verlangen:

3. Wiedergutmachung des zugefügten Schadens:

a) nach den allgemeinen Grundsätzen oder

b) durch Zahlung eines Geldbetrags in Höhe des Doppelten oder – bei schuldhafter Verletzung – des Dreifachen der angemessenen Vergütung, die im Zeitpunkt ihrer Geltendmachung für die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des Werkes durch den Rechtsinhaber zu entrichten wäre;

…“


Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

SFP ist eine Einrichtung zur gemeinsamen Verwaltung von Urheberrechten, die in Polen zugelassen und zur Verwaltung und zum Schutz von Urheberrechten für audiovisuelle Werke berechtigt ist. OTK strahlt Fernsehsendungen im Kabelfernsehnetz auf dem Gebiet der Stadt Oława (Polen) aus.

Nachdem ein Lizenzvertrag, in dem die Grundsätze der Vergütung zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens geregelt waren, am 30. Dezember 1998 gekündigt worden war, setzte OTK die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke fort und stellte bei der Komisja Prawa Autorskiego (Urheberrechtskommission, Polen) einen Antrag, mit dem sie diese im Wesentlichen darum ersuchte, die für die Nutzung der von SFP verwalteten Urheberrechte geschuldete Vergütung festzulegen. Mit Beschluss vom 6. März 2009 legte die Urheberrechtskommission diese Vergütung mit 1,6 % der von OTK aufgrund der Wiederausstrahlung von Werken im Kabelfernsehnetz erlangten Nettoeinnahmen ohne Umsatzsteuer fest, wobei bestimmte Kosten, die der Antragsteller getragen hatte, nicht umfasst waren. OTK berechnete den auf dieser Grundlage geschuldeten Betrag selbst und überwies sodann an SFP einen Betrag von 34 312,69 polnischen Zloty (PLN) (ungefähr 7 736,11 Euro) entsprechend den Einnahmen der Jahre 2006 bis 2008.

Am 12. Januar 2009 erhob SFP eine Klage gegen OTK und beantragte, es OTK insbesondere auf der Grundlage von Art. 79 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b UPAPP zu untersagen, bis zum Abschluss eines neuen Lizenzvertrags geschützte audiovisuelle Werke wiederauszustrahlen, und OTK zu verurteilen, dem Kläger eine Geldsumme von 390 337,50 PLN (ungefähr 88 005,17 Euro), zuzüglich gesetzlicher Zinsen, zu zahlen.

Mit Urteil vom 11. August 2009 verurteilte der Sąd Okręgowy we Wrocławiu (Regionalgericht Wroclaw, Polen) OTK dazu, SFP eine Geldsumme von 160 275,69 PLN (ungefähr 36 135,62 Euro), zuzüglich gesetzlicher Zinsen, zu zahlen, und wies die Klage, soweit von Bedeutung, im Übrigen ab. Da die von beiden Parteien des Ausgangsverfahrens gegen dieses Urteil eingelegten Rechtsmittel zurückgewiesen wurden, legten die Parteien jeweils Kassationsbeschwerde ein. Mit Urteil vom 15. Juni 2011 verwies der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof, Polen) die Sache jedoch zur erneuten Entscheidung an den Sąd Apelacyjny we Wrocławiu (Berufungsgericht Wrocław, Polen) zurück, der am 19. Dezember 2011 ein zweites Urteil erließ. Dieses zweite Urteil wurde vom Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) im Rahmen einer Kassationsbeschwerde wiederum aufgehoben und abermals zur erneuten Entscheidung an den Sąd Apelacyjny we Wrocławiu (Berufungsgericht) zurückverwiesen. Das von diesem Gericht daraufhin erlassene Urteil ist Gegenstand einer von OTK erhobenen Kassationsbeschwerde.

Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof), der im Rahmen dieses letztgenannten Rechtsmittels zum dritten Mal über die Rechtssache zu entscheiden hat, ist sich unsicher, ob Art. 79 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b UPAPP mit Art. 13 der Richtlinie 2004/48 vereinbar ist. Diese Bestimmung der UPAPP sehe – bei Vorliegen eines entsprechenden Antrags des Rechtsinhabers, dessen Urhebervermögensrechte verletzt worden sein sollen – nämlich die Möglichkeit einer Entschädigung durch Zahlung eines Geldbetrags in Höhe des Doppelten oder des Dreifachen der angemessenen Vergütung vor. Diese Bestimmung enthalte somit eine Art Strafe.

Das vorlegende Gericht fragt sich zudem, ob die in der Richtlinie 2004/48 vorgesehene Ausgleichsentschädigung für den Inhaber eines Urhebervermögensrechts voraussetzt, dass dieser den Nachweis für das schädigende Ereignis, den erlittenen Schaden und dessen Umfang, die Kausalität zwischen dem Ereignis und dem Schaden sowie die Tatsache, dass der Schadensverursacher schuldhaft gehandelt hat, erbringt.

Unter diesen Umständen hat der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann Art. 13 der Richtlinie 2004/48 dahin gehend ausgelegt werden, dass ein Rechtsinhaber, dessen Urhebervermögensrechte verletzt wurden, die Wiedergutmachung des ihm zugefügten Schadens nach den allgemeinen Grundsätzen oder – ohne Erforderlichkeit eines Nachweises des Schadens und der Kausalität zwischen dem seine Rechte verletzenden Ereignis und dem Schaden – die Zahlung einer Geldsumme, deren Höhe dem Doppelten oder – im Fall einer schuldhaften Verletzung – dem Dreifachen der angemessenen Vergütung entspricht, verlangen kann, wenn Art. 13 der Richtlinie 2004/48 vorsieht, dass über den Schadensersatz ein Gericht entscheidet, das die in Art. 13 Abs. 1 Buchst. a genannten Faktoren berücksichtigt und nur alternativ in einigen Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag unter Berücksichtigung der in Art. 13 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie genannten Faktoren festsetzen kann?

Ist die Gewährung – auf Antrag einer Partei – eines im Voraus bestimmten Schadensersatzes als Pauschalbetrag in Höhe des Doppelten oder des Dreifachen der angemessenen Vergütung gemäß Art. 13 der Richtlinie angesichts dessen zulässig, dass in ihrem 26. Erwägungsgrund vorgesehen ist, dass mit der Richtlinie nicht die Einführung eines als Strafe angelegten Schadensersatzes bezweckt wird?


Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach der Inhaber des verletzten Rechts des geistigen Eigentums von der Person, die dieses Recht verletzt hat, wahlweise entweder die Wiedergutmachung des ihm zugefügten Schadens – bei der sämtliche einschlägigen Aspekte des Anlassfalls zu berücksichtigen sind – oder, ohne dass er den tatsächlichen Schaden und den Kausalzusammenhang zwischen dem seine Rechte verletzenden Ereignis und dem erlittenen Schaden nachweisen müsste, die Zahlung einer Geldsumme verlangen kann, deren Höhe dem Doppelten oder – im Fall einer schuldhaften Verletzung – dem Dreifachen der angemessenen Vergütung entspricht, die bei Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Werks zu entrichten gewesen wäre.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof, Polen) nach dem Erlass der Vorlageentscheidung in der vorliegenden Rechtssache die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung, d. h. Art. 79 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b UPAPP, mit Urteil vom 23. Juni 2015 teilweise für verfassungswidrig erklärt hat, soweit sie dem Rechtsinhaber, dessen Urhebervermögensrecht verletzt wurde, im Fall einer schuldhaften Verletzung die Möglichkeit einräumte, die Zahlung einer Geldsumme zu verlangen, die dem Dreifachen der angemessenen Vergütung entspricht. Da die Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) zurückwirkt, ist die Vorlagefrage, soweit sie sich auf eine Regelung bezieht, die für verfassungswidrig erklärt wurde, hypothetisch geworden und somit unzulässig.

Das vorlegende Gericht hat indes an seiner Vorlagefrage festgehalten. Somit ist diese dahin zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob Art. 13 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Zahlung einer Geldsumme verlangt werden kann, die dem Doppelten der angemessenen Vergütung entspricht, die bei Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Werks zu entrichten gewesen wäre (im Folgenden: hypothetische Gebühr).

Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie 2004/48 ihrem dritten Erwägungsgrund zufolge auf eine wirksame Anwendung des materiellen Rechts auf dem Gebiet des geistigen Eigentums in der Europäischen Union abzielt. Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt insbesondere, dass die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.

Der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 nennt in diesem Zusammenhang zwar das Ziel, ein hohes, gleichwertiges und „homogenes“ Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten; die Richtlinie findet allerdings, wie sich ihrem Art. 2 Abs. 1 entnehmen lässt, unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften, insbesondere jenen der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, Anwendung. Insoweit geht aus dem siebten Erwägungsgrund dieser Richtlinie eindeutig hervor, dass der verwendete Begriff „Instrument“ allgemeiner Natur ist und die Berechnung von Schadensersatz mitumfasst.

Dementsprechend wird, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, mit der Richtlinie 2004/48 nur ein Mindeststandard für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums festgeschrieben, was die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, stärker schützende Maßnahmen vorzusehen (vgl. Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 36 und 40).

Nach den Erwägungsgründen 5 und 6 sowie Art. 2 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/48 sind bei der Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie sodann die Verpflichtungen zu berücksichtigen, die sich aus auf den Ausgangsrechtsstreit möglicherweise anzuwendenden internationalen Übereinkünften, etwa dem TRIPS-Übereinkommen, der Berner Übereinkunft und dem Rom-Abkommen, für die Mitgliedstaaten ergeben. Nach Art. 1 des TRIPS-Übereinkommens wie auch nach Art. 19 der Berner Übereinkunft und Art. 2 des Rom-Abkommens können die Vertragsstaaten den Inhabern der betreffenden Rechte einen umfassenderen Schutz als den gewähren, der in diesen Rechtsakten jeweils vorgesehen ist.

Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/48 ist folglich dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der ein Rechtsinhaber, dessen Urhebervermögensrechte verletzt wurden, von der Person, die diese Rechte verletzt hat, eine Wiedergutmachung des verursachten Schadens durch Zahlung einer Geldsumme verlangen kann, die dem Doppelten einer hypothetischen Gebühr entspricht, nicht entgegensteht.

Diese Auslegung kann auch nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass erstens eine Entschädigung, die auf der Grundlage des Doppelten der hypothetischen Gebühr berechnet wird, im Verhältnis zu dem von der geschädigten Partei tatsächlich erlittenen Schaden nicht genau proportional ist. Dies ist nämlich gerade das Wesensmerkmal einer jeden pauschalen Entschädigung, genauso wie bei der, die in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/48 ausdrücklich vorgesehen ist.

Zweitens wird diese Auslegung auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Richtlinie 2004/48 ausweislich ihres 26. Erwägungsgrundes nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz bezweckt.

Zum einen kann, anders als das vorlegende Gericht offenbar meint, der Umstand, dass die Richtlinie 2004/48 die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, sogenannten „Strafschadensersatz“ vorzusehen, nämlich nicht dahin ausgelegt werden, dass die Einführung einer solchen Maßnahme verboten wäre.

Zum anderen ist, ohne dass es hierfür einer Entscheidung darüber bedürfte, ob die Einführung von sogenanntem „Strafschadensersatz“ gegen Art. 13 der Richtlinie 2004/48 verstoßen könnte, nicht ersichtlich, dass die für den Ausgangsrechtsstreit maßgebliche Bestimmung eine Verpflichtung zur Zahlung eines derartigen Strafschadensersatzes enthält.

So ist festzustellen, dass im Fall der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums die bloße Zahlung der hypothetischen Vergütung nicht geeignet ist, eine Entschädigung für den gesamten tatsächlich erlittenen Schaden zu garantieren, weil mit der Zahlung einer solchen Vergütung weder die Erstattung möglicher, mit der Feststellung allfälliger Verletzungshandlungen und ihrer Verursacher verbundener Kosten, auf die im 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 verwiesen wird, noch der Ersatz eines möglichen immateriellen Schadens (vgl. zu letztgenanntem Gesichtspunkt Urteil vom 17. März 2016, Liffers, C‑99/15, EU:C:2016:173, Rn. 26) und auch nicht die Zahlung von Zinsen auf die geschuldeten Beträge sichergestellt würde. OTK hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die Zahlung des Doppelten der hypothetischen Vergütung nämlich in der Praxis einer Entschädigung gleichkomme, die geringer ausfalle als die, die der Rechtsinhaber nach den „allgemeinen Grundsätzen“ im Sinne von Art. 79 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a UPAPP verlangen könnte.

Zwar ist nicht auszuschließen, dass der Ersatz eines Schadens, der auf der Grundlage des Doppelten der hypothetischen Vergütung berechnet wurde, den tatsächlich erlittenen Schaden in Ausnahmefällen so eindeutig und beträchtlich überschreitet, dass eine diesbezügliche Forderung einen nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 verbotenen Rechtsmissbrauch darstellen könnte. Aus den von der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen wird gleichwohl deutlich, dass das polnische Gericht nach der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Regelung in einem solchen Fall nicht an den Antrag des Inhabers des verletzten Rechts gebunden wäre.

Was schließlich drittens das Vorbringen angeht, die geschädigte Partei brauchte, weil sie den Schadensersatz auf der Grundlage des Doppelten der hypothetischen Vergütung berechnen könne, nicht mehr den Kausalzusammenhang zwischen dem das Urheberrecht verletzenden Ereignis und dem erlittenen Schaden nachzuweisen, ist festzustellen, dass dieses Vorbringen auf einer überaus strengen Auslegung des Begriffs „Kausalität“ beruht, nach der der Inhaber des verletzten Rechts einen Kausalzusammenhang nicht nur zwischen diesem Ereignis und dem erlittenen Schaden, sondern auch zwischen diesem Ereignis und der genauen Höhe, auf die sich der Schaden beläuft, nachweisen müsste. Eine solche Auslegung ist jedoch mit dem Konzept einer pauschalen Festlegung der Höhe des Schadensersatzes – und dementsprechend mit Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/48, der eine solche Art von Entschädigung zulässt – unvereinbar.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 13 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach der Inhaber des verletzten Rechts des geistigen Eigentums von der Person, die dieses Recht verletzt hat, entweder die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens – bei der sämtliche für den Anlassfall maßgebenden Aspekte zu berücksichtigen sind – oder, ohne den tatsächlichen Schaden nachweisen zu müssen, die Zahlung einer Geldsumme verlangen kann, die dem Doppelten der angemessenen Vergütung entspricht, die für die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Werks zu entrichten gewesen wäre, nicht entgegensteht.


Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.


Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach der Inhaber des verletzten Rechts des geistigen Eigentums von der Person, die dieses Recht verletzt hat, entweder die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens – bei der sämtliche für den Anlassfall maßgebenden Aspekte zu berücksichtigen sind – oder, ohne den tatsächlichen Schaden nachweisen zu müssen, die Zahlung einer Geldsumme verlangen kann, die dem Doppelten der angemessenen Vergütung entspricht, die für die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Werks zu entrichten gewesen wäre, nicht entgegensteht.