OGH Wien: Nach Rücktritt kein Wertersatz für in Anspruch genommene Kontakte eines Partnervermittlungsportals – Wertersatz ist zeitanteilig zu berechnen (im Gegensatz zu OLG Hamburg, Urteil vom 02.03.2017)

Was für ein Paukenschlag!!!

Hunderte von Entscheidungen der Hamburger Gerichte beschäftigen sich mit den Wertersatzforderungen, die die PE Digital GmbH nach Widerruf gegen ihre Kunden geltend macht. Diese werden nach – sogenannten – realisierten bzw. in Anspruch genommenen Kontakten berechnet.

„Den Wertersatz für die in den Tagen bis zum Widerruf erbrachten Leistungen errechnet Parship auf Basis des Gesamtpreises für die Premium-Mitgliedschaft, multipliziert mit dem Verhältnis der von Ihnen realisierten Kontakte zu den von Parship garantierten Kontakten.“

Zitat aus einer Support-Nachricht von Parship vom 19.11.2018

So wurde einer Mandantin des Verfassers für 10 Kontakte, die diese innerhalb von 54 Minuten zwischen Vertragsabschluss und Widerruf realisiert haben soll, ein Wertersatz von 588,94 Euro in Rechnung gestellt, was 75 % des Beitrags für die gesamte Mitgliedschaft mit einer Dauer von 24 Monaten (Gesamtpreis ohne Zusatzkosten für die Zahlungsweise: 785,25 Euro) ausmachte.

Der OGH Wien erklärt die Methode der Wertersatzberechnung nach realisierten Kontakten nun für unwirksam und stellt ausdrücklich fest, dass der Wertersatz nach Widerruf (Rücktritt im österreichischen Recht) ausschließlich zeitanteilig (pro rata temporis) berechnet werden darf.

Damit steht die Entscheidung im Widerspruch zur Entscheidung des OLG Hamburg vom 02.03.2017 – 3 U 122/14 -, in der das OLG Hamburg einer ausschließlich zeitanteiligen Wertersatzberechnung seinen Segen nicht gab.

Die Wiener Richter hingegen sprechen nicht nur einer Wertersatzberechnung nach realisierten Kontakten die Berechtigung ab sondern stellen auch noch fest, dass die Wertersatzberechnung ausschließlich zeitanteilig – im Verhältnis zur Gesamtdauer der Mitgliedschaft – zu erfolgen hat.

„Im Anlassfall wird die kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaft für eine bestimmte Dauer abgeschlossen. Die von der Beklagten zu erbringenden Leistungen sind daher durch die Zeitkomponente bestimmt.

Das von der Beklagten herangezogene Bemessungskriterium der garantierten Kontakte (sieben Kontakte bei einer Mitgliedschaft von zwölf Monaten = 75 % des vereinbarten Entgelts) ist für die vereinbarte Gesamtleistung nicht maßgebend. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass Kunden der Beklagten in den ersten beiden Wochen einer Mitgliedschaft verhältnismäßig viele Nachrichten senden und empfangen, weil es für die Bemessung des verhältnismäßigen Entgelts nicht auf das Nutzerverhalten ankommt.

Vielmehr ist maßgebend, dass der Nutzer die von der Beklagten bereitgestellten Dienste während der gesamten Vertragslaufzeit in Anspruch nehmen kann. Auch wenn zu Beginn einer Mitgliedschaft besonders viele Nachrichten ausgetauscht werden, bedeutet dies im Übrigen nicht, dass sich in dieser Zeit auch der Vermittlungserfolg einstellt.

Zum Porträt der Partnerpersönlichkeit und zum Persönlichkeitstest hat das Erstgericht festgehalten, dass diese computergenerierten Ergebnisse für die Beklagte keinen besonderen Aufwand begründen. Aus diesem Grund können für die „Vermessung der Kunden“ keine einmaligen Kosten bei der Ermittlung des Abgeltungsbetrags berücksichtigt werden.

Die Ermöglichung des Zugriffs auf die Mitgliederdatenbank ist bei einer Online–Partnervermittlung die Hauptleistung, die über die gesamte Vertragslaufzeit erbracht werden muss. Auch dabei handelt es sich um keine Sonderleistung zu Beginn des Vertrags. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann bei ihrem Online -Dienst daher nicht von einem „kopflastigen Angebot“ mit besonders aufwendigen Leistungen zu Beginn des Vertrags ausgegangen werden.

Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Beklagte bei der Berechnung des anteiligen Abgeltungsbetrags iSd § 16 Abs 1 FAGG im Fall eines Rücktritts bei einer vom Verbraucher verlangten sofortigen Leistungserbringung nur eine zeitabhängige Aliquotierung im Verhältnis zur vereinbarten Gesamtlaufzeit des Partnervermittlungsvertrags vornehmen darf. Die beanstandete Geschäftspraktik ist damit rechtswidrig und der Beklagtenzu untersagen.

[…]

Im Anlassfall steht fest, dass der Persönlichkeitstest und das Porträt der Partnerpersönlichkeit keine besonderen Leistungen der Beklagten sind, die aufgrund eines besonderen Personal- oder Sachaufwands bei der Bemessung des Abgeltungsbetrags zu berücksichtigen wären. Die Beurteilung des Oberlandesgerichts Hamburg, dass das Angebot der Beklagten zu Beginn der Mitgliedschaft besonders attraktiv sei, kann sich bei einer rein zeitbezogenen Gesamtleistung nicht auf den anteiligen Abgeltungsbetrag auswirken.“

OGH Wien, Urteil vom 23.10.2018 – 4 Ob 179/18d