BGH: Keine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr bei Honorarvereinbarung (Beschluss vom 16.10.2014)

BGH, Beschluss vom 16.10.2014 – III ZB 13/14

Leitsätze

1. Eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 Satz 1 VV RVG kommt nicht in Betracht, wenn im Verhältnis zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300-2303 VV RVG entstanden ist, sondern die Partei mit ihrem Prozessbevollmächtigten eine zulässige Honorarvereinbarung getroffen hat. In einem solchen Fall findet die Vergütung ihre Rechtsgrundlage in der Vergütungsvereinbarung und nicht in den Vorschriften des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Das vereinbarte Honorar ist keine Geschäftsgebühr in diesem Sinne; die Anrechnung einer fiktiven Geschäftsgebühr scheidet aus

2.
Die Geltendmachung einer Geschäftsgebühr als Verzugsschaden besagt deshalb nicht zwangsläufig, dass keine außergerichtliche Honorarvereinbarung getroffen worden ist; denn eine Partei hat, weil sie von der Gegenseite nur eine Geschäftsgebühr ersetzt verlangen kann, keinen Anlass, eine Honorarvereinbarung vorzeitig offen zu legen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 30. Januar 2014 – 17 W 164/13 – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 16. Juli 2013 – 86 O 41/13 – bezüglich der erfolgten Anrechnung einer 0,65-Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zurückgewiesen worden ist.

Insoweit wird die Sache zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 772,69 €


Gründe

I. Die Klägerin war für die Beklagte als Subunternehmerin bei einem Projekt der Firma B. tätig. Sie hat im vorliegenden Rechtsstreit die Vergütung für die Monate Januar bis März 2013 eingeklagt und die Feststellung begehrt, dass die Kündigungen der Beklagten vom 19. und 21. Februar 2013 unwirksam seien und sie auch nicht die von der Beklagten geltend gemachte Vertragsstrafe verwirkt habe.

Bezüglich ihrer außergerichtlichen Kosten hatte die Klägerin in der Klagschrift folgenden Antrag angekündigt:

„5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die nicht anrechenbare Geschäftsgebühr in Höhe von EUR 1.960,40 nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer zu erstatten, mithin EUR 2.356,68, nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.03.13. Deren teilweise Anrechnung auf die Kosten dieses Rechtsstreits ist dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten. Hilfsweise wird beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von dieser Forderung der (auch) vorgerichtlichen Vertreter der Klägerin, … , gegen die Klägerin freizustellen.“

In der Klage wurde der Anspruch auf die Geschäftsgebühr als Verzugsschaden gemäß §§ 280, 286 BGB begründet, wobei unter anderem auf das vorprozessuale Schreiben der klägerischen Bevollmächtigten vom 22. Februar 2013 Bezug genommen wurde, in dem ebenfalls für die außergerichtliche Tätigkeit eine 1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer in Höhe von 2.356,68 € in Ansatz gebracht worden war.

Mit Schreiben vom 24. Mai 2013 unterbreitete die Klägerin der Beklagten einen Vergleichsvorschlag, der bezüglich der Kosten folgende Regelung enthielt:

„Für die Abgeltung der vorprozessualen Anwaltskosten unserer Mandantin zahlt Ihre Mandantin einen pauschalen Betrag von EUR 3.000 (inkl. MwSt).
Von den Prozesskosten trägt die Klägerin 1/4 und die Beklagte zu 3/4.“

In der Folgezeit einigten sich die Parteien; der anschließend gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO festgestellte gerichtliche Vergleich lautete bezüglich der Kosten:

„5. Zur Abgeltung der vorprozessualen Anwaltskosten der Klägerin zahlt die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.521,01 € zzgl. 478,99 € Umsatzsteuer = insgesamt 3.000 €.
Die Kosten des Rechtsstreits und dieses Vergleichs tragen die Klägerin zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4.“

Mit Beschluss vom 16. Juli 2013 setzte das Landgericht Köln bei der von der Klägerin zur Kostenfestsetzung angemeldeten „1,3-Verfahrensgebühr“ von 2.060,50 € eine 0,65-Geschäftsgebühr von 1.030,25 € ab. Die gegen den Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin, mit der sie – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung – geltend machte, zwischen ihr und ihrem Prozessbevollmächtigten sei eine zeitbezogene Honorarvereinbarung getroffen worden, wies das Oberlandesgericht Köln durch Beschluss vom 30. Januar 2014 zurück. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

1. Das Oberlandesgericht hat zugunsten der Klägerin unterstellt, dass zwischen ihr und ihrem Prozessbevollmächtigten eine die außergerichtliche Vertretung in der hier streitgegenständlichen Angelegenheit erfassende wirksame Honorarvereinbarung getroffen worden ist. Dessen ungeachtet – so das Beschwerdegericht – könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass keine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG angefallen sei und deshalb auch keine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG stattzufinden habe. Denn nach dem Grundsatz von Treu und Glauben müsse sich die Klägerin an ihrem eigenen Sachvortrag festhalten lassen, der nach den erkennbaren Umständen auch für die Entscheidung der Beklagten, sich auf den vorgeschlagenen Vergleich und insbesondere dessen Nummer 5 einzulassen, zur Grundlage geworden sei.

Vorprozessual und in der Klage sei nicht von einer vereinbarten Rechtsanwaltsvergütung, sondern von einer Geschäftsgebühr die Rede gewesen. Auf dieser Grundlage sei es dann zu dem Vergleich gekommen. Auch wenn der im Vergleich für die vorprozessualen Anwaltskosten in Ansatz gebrachte Betrag von 3.000 € merklich höher sei als die bis dahin geltend gemachte Geschäftsgebühr, sei nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs das Bewusstsein und die Vorstellung gehabt habe, sich nicht zur Zahlung einer Geschäftsgebühr im Sinne des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, sondern einer Rechtsanwaltsvergütung aufgrund einer Vergütungsvereinbarung zu verpflichten, die dann nicht mehr anrechenbar auf die Verfahrensgebühr sei, sondern in vollem Umfang neben der ungekürzten Verfahrensgebühr erstattet werden müsse.

2. Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 Satz 1 VV RVG kommt nicht in Betracht, wenn im Verhältnis zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300-2303 VV RVG entstanden ist, sondern die Partei mit ihrem Prozessbevollmächtigten eine zulässige Honorarvereinbarung getroffen hat. In einem solchen Fall findet die Vergütung ihre Rechtsgrundlage in der Vergütungsvereinbarung und nicht in den Vorschriften des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Das vereinbarte Honorar ist keine Geschäftsgebühr in diesem Sinne; die Anrechnung einer fiktiven Geschäftsgebühr scheidet aus (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 18. August 2009 – VIII ZB 17/09, NJW 2009, 3364 Rn. 6 ff und vom 9. September 2009 – Xa ZB 2/09, NJW-RR 2010, 359 Rn. 6 f; OLG Frankfurt, AnwBl. 2009, 310 f; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 91 Rn. 13 Stichwort: Erfolgshonorar/Vergütungsvereinbarung; Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl., Nr. 3100 VV RVG, Stichwort: Honorarvereinbarung; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., VV 2300 Rn. 45; Müller-Rabe, ebendort Vorb. 3 VV Rn. 253).

b) Nicht zu beanstanden und von der Beschwerde auch nicht angegriffen ist der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, der Grundsatz der Nichtanrechenbarkeit unterliege dann einer Einschränkung, wenn ein Rechtsstreit durch Vergleich beendet wird und die von den Parteien hierbei getroffene Kostenregelung auf der Grundlage erfolgt ist, dass außerprozessual eine anrechenbare Geschäftsgebühr angefallen und keine Honorarvereinbarung getroffen worden ist. In einem solchen Fall kann sich die erstattungsberechtigte Partei nicht erstmals nachträglich im Kostenfestsetzungsverfahren darauf berufen, sie habe in Wirklichkeit mit ihrem Prozessbevollmächtigten eine Honorarvereinbarung getroffen, so dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nicht in Betracht komme.

c) Jedoch ist die Annahme des Oberlandesgerichts, dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich liege zugrunde, dass eine anrechenbare Geschäftsgebühr angefallen sei, nicht frei von Rechtsfehlern.

Allerdings trifft es zu, dass die Klägerin mit der Klage – wie auch vorprozessual – im Rahmen des ihr zu erstattenden Verzugsschadens von einer Geschäftsgebühr gesprochen hat. Dieser Umstand ist aber keineswegs so eindeutig, wie es das Beschwerdegericht gemeint hat. Insoweit weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass sie das nach ihrer streitigen Behauptung mit ihrem Bevollmächtigten vereinbarte Honorar ohnehin nicht zum Gegenstand ihrer außergerichtlichen und gerichtlichen Forderung hätte machen können.

Denn zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen eines Geschädigten im Rahmen der §§ 249 ff BGB zählen zwar grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Allerdings hat der Schädiger dem Geschädigten nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Danach ist ein anwaltliches Zeithonorar nur bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren erstattungspflichtig (vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 48; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 249 Rn. 57), ungeachtet dessen, dass in der Praxis häufig die Vergütungsvereinbarung für außergerichtliche Tätigkeit an die Stelle der gesetzlich vorgesehenen Geschäftsgebühr tritt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2009, aaO Rn. 7).

Die Geltendmachung einer Geschäftsgebühr als Verzugsschaden besagt deshalb nicht zwangsläufig, dass keine außergerichtliche Honorarvereinbarung getroffen worden ist; denn eine Partei hat, weil sie von der Gegenseite nur eine Geschäftsgebühr ersetzt verlangen kann, keinen Anlass, eine Honorarvereinbarung vorzeitig offen zu legen.

Entscheidend kommt hinzu, dass – anders als vorprozessual und in der Klage – in dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich nicht von einer entstandenen Geschäftsgebühr, sondern allgemein von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin die Rede ist. Ferner unterscheidet sich der im Vergleichsweg in Ansatz gebrachte und von der Beklagten zu zahlende Pauschalbetrag von 3.000 € – bereits für sich, aber auch, wenn man die von den Parteien im Übrigen als angemessen angesehene Kostenquote von 1/4 zu 3/4 berücksichtigt – erheblich von dem Betrag von 2.356, 68 €, der im Falle der Berechnung einer Geschäftsgebühr angefallen wäre und den die Klägerin vorprozessual und in der Klage geltend gemacht hat.

Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die anwaltlich vertretene Beklagte von ihrem objektiven Empfängerhorizont her das Vergleichsangebot der Klägerin vom 24. Mai 2013, das erstmals den neuen Kostenbetrag von 3.000 € enthält, weiterhin als Geltendmachung einer anzurechnenden Geschäftsgebühr verstehen musste und dies dann zur Grundlage des abgeschlossenen Vergleichs wurde.

3. Da das Beschwerdegericht lediglich unterstellt hat, dass die Klägerin mit ihrem Prozessbevollmächtigten eine für das vorliegende Verfahren einschlägige und wirksame Honorarvereinbarung getroffen hat, ist die Sache noch nicht zur Entscheidung reif und deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.


Vorinstanzen
LG Köln, Entscheidung vom 16.07.2013 – 86 O 41/13
OLG Köln, Entscheidung vom 30.01.2014 – 17 W 164/13