Über die Verwendung von Textbausteinen in anwaltlichen Schriftsätzen
„Ein Textbaustein ist ein Textfragment, das wiederkehrende Verwendung findet“ (Wikipedia).
Über den Nutzen von Textbausteinen braucht man gewiss nicht zu streiten. Bei der Bearbeitung gleich gelagerter Mandate – zum Beispiel im Rahmen von Abmahnungen wegen Filesharing – wird man um die Verwendung gleicher oder ähnlicher Argumente, nicht umhinkommen. Sofern diese Argumente eine Stütze durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfahren, werden auch die entsprechenden Textpassagen der Urteile wiederkehrende Verwendung finden. Werden diese Textfragmente mit dem erforderlichen Bezug zum Lebenssachverhalt genutzt – wird also konkret am Fall gearbeitet – spricht nichts gegen deren Gebrauch. Diesbezüglich dürften insbesondere Zitate aus dem Urteil „Sommer unseres Lebens“ des BGH sowohl auf Seiten von Abmahnern als auch durch die Prozessbevollmächtigten der Abgemahnten wohl in unzähligen Schriftsätzen zu finden sein.
Zu der Verwendung von Zitaten aus Gerichtsurteilen fallen mir auch heute noch die mahnenden Worte einiger Hochschulprofessoren – und später auch des Repetitors – ein, die uns in den Besprechungen der Hausarbeiten so häufig darauf hingewiesen hatten, dass die Zitierung von BGH Urteilen niemals die eigene Argumentation ersetzen kann. Vor diesem Hintergrund bedarf die Verwendung von Textbausteinen einer sinnvollen Einschränkung insofern, als dass sich deren Nutzung verbietet, wenn sie wegen mangelnden Bezugs zur Sache nicht sachgerecht oder als ausschließlicher Ersatz für eigene Argumente erfolgt.
Erhebliche Zweifel an einer sachgerechten Verwendung von Textbausteinen kamen mir gestern, als ich ein Telefax eines Münchener Kollegen erhielt. Unser Mandant war einer Urheberrechtsverletzung bezichtigt worden und zur Zahlung in Höhe von 1566,00 Euro Schadensersatz und Abmahnkosten aufgefordert worden.
Dass sich unser Mandant zu den angeblichen Zeitpunkten der angeblichen Rechtsverletzungen nicht einmal in der Nähe seines Internetanschlusses befand und somit als Täter einer Urheberrechtsverletzung nicht in Frage kam, legten wir nach Abgabe einer (modifizierten) Unterlassungserklärung im Rahmen einer elfseitigen Stellungnahme ausführlich dar und boten Beweis dafür an.
Hinsichtlich einer Inanspruchnahme als Störer konnten wir für unseren Mandanten, der eine Ausbildung zum IT-Systemkaufmann absolviert hatte und seit vielen Jahren in diesem Beruf tätig war, darlegen, dass er seinen Internetanschluss ausreichend gegen einen unbefugten Zugriff durch Dritte über sein WLAN geschützt hatte. Der Computer unseres Mandanten war während seiner Abwesenheit ausgeschaltet, Dritte hatten keinen Zugang zu der Wohnung, sein Router verfügte über eine WPA2-PSK (AES) -Verschlüsselung, deren Schlüssel 63 Zeichen lang war, bestehend aus Ziffern, Groß- und Kleinbuchstaben. Die Firewall des Routers war aktiv, der Zugang zur Benutzeroberfläche durch ein individuelles Kennwort geschützt. Zudem hatte unser Mandant die SSID-Ausstrahlung am Router deaktiviert. Auf seinem Computer werkelte eine Firewall, ein Antivirenprogramm und sämtliche Programme wurden regelmäßig durch Updates auf dem neuesten Stand gehalten.
Die Schnelligkeit, mit der die Antwort der Münchener Kanzlei bei uns einging, war erstaunlich. Es dauerte keine zwei Tage, bis wir das ausführliche – neun Seiten umfassende – Dokument in den Händen hielten, in dem man uns einleitend mitteilt, dass die vollständige Erfüllung der berechtigten Zahlungsansprüche offenbar rechtsirrig verweigert wird. Hinsichtlich der persönlichen Haftung unseres Mandanten belehrte man uns auf nicht weniger als einer Seite durch Zitate aus Gerichtsurteilen darüber, dass eine tatsächliche Vermutung und der Beweis des ersten Anscheins dafür bestehe, dass unser Mandant für die Rechtsverletzung verantwortlich sei. Natürlich fehlten auch hier nicht Zitate aus der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ des BGH. Dem folgten weitere Zitate aus Gerichtsurteilen zu sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers sowie der Hinweis, dass das pauschale Bestreiten der Haftung, sowie Schutzbehauptungen, die ins Blaue hinein erfolgen, nicht den Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast genügen würden und juristisch unbeachtlich seien. Es folgten weitere zwei Seiten Zitate aus Gerichtsurteilen, mit Hervorhebungen in Fettschrift über das unzulässige einfache und pauschale Bestreiten, unzureichenden oder substanzlosen Vortrag, unerhebliches Bestreiten, unzulässige Bestreiten mit Nichtwissen usw.
Auf unsere Darlegungen und Beweisangebote dafür, dass „die tatsächliche Vermutung, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für eine von diesem Anschluss aus begangene Rechtsverletzung verantwortlich ist (…), … entkräftet“ ist, wenn „die ernsthafte Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung, auf die die Vermutung gegründet ist, abweichenden Geschehensablaufs feststeht“, wurde genau so wenig eingegangen, wie auf die Tatsache, dass sich mehr als eine Modifizierung der Darlegungslast – wie sie der BGH für den Anschlussinhaber vorsieht – verbietet , da andernfalls der Grundrechtsschutz des Prozessgegners über Gebühr beeinträchtigt wird (LG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2011, Az. 17 O 39/11). Der Kollege stellte abschließend vielmehr fest, dass Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall Zweifel an der Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers begründen könnten, weder ersichtlich noch hinreichend substantiiert vorgetragen und nachgewiesen worden seien. Die geltend gemachten Ansprüche – also Schadensersatz und Abmahnkosten – würden unverändert aufrecht erhalten.
Zu den von uns dargelegten Umständen wurde mit keinem einzigen Wort konkret Stellung genommen.
Gewissenhaft arbeite sicher diejenige Person, die die handlichen Textbausteine aus der nicht unbedingt einheitlichen Rechtsprechung erstellte. Ob das auch für den Kollegen gilt, der mit unserer umfassenden Stellungnahme beschäftigt war, lassen wir hier dahingestellt. Die Tatsache, dass der Schriftsatz offensichtlich überwiegend aus Textbausteinen besteht, die auf einem gewissen Abstraktionsniveau einen Überblick über einige von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze zur Haftung des Anschlussinhabers bei Urheberrechtsverletzungen über Peer-to-peer Netzwerke geben, lässt uns zumindest erheblich daran zweifeln, dass der Kollege mit der nötigen anwaltlichen Gewissenhaftigkeit an die Sache herangegangen ist.
Aus welchem Grund unser Mandant, für dessen Abwesenheit von seinem Internetanschluss und dafür, dass sein Computer zum Tatzeitpunkt ausgeschaltet war, wir gewissenhaft und detailliert vorgetragen und Beweis angeboten hatten, als Täter einer Urheberrechtsverletzung auf Schadensersatz haften soll, erschließt sich uns jedenfalls nicht. Die Verwendung der entsprechenden Textbausteine über unzureichenden und unsubstantiierten Vortrag, sowie Schutzbehauptungen ins Blaue hinein lassen jedenfalls nicht erkennen, in Bezug auf welchen Vortrag unsererseits der Kollege deren Verwendung für gerechtfertigt hielt. Genauso wenig verständlich ist uns, welche Reichweite der Kollege der „tatsächlichen Vermutung, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist“, die er uns mehrfach durch Zitate aus Urteilen belegt, beimisst. Offenbar scheint es seiner Auffassung nach nichts zu geben, was diese Vermutung erschüttern kann.
Welche Prüfpflichten unser Mandant, der den Zugang zu seinem Internetanschluss über sein WLAN zeitgemäß und hinreichend abgesichert hatte, verletzt haben soll, erschließt sich uns durch das Schreiben der Gegenseite ebenso wenig. Dafür erhalten wir das Zitat, dass „sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers (ergibt), der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen“.
Für uns wurde in diesem Schreiben der Gegenseite die Grenze der zulässigen Verwendung von Textbausteinen bei weitem überschritten. In diesem Zusammenhang kommt das Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.11.2011, Az. I-20 W 132/11, in den Sinn, in dem das Gericht feststellt, dass „eine Abmahnung, die den Verstoß nicht erkennen lässt, stellt eine völlig unbrauchbare anwaltliche Dienstleistung dar(stellt), die einer Nichtleistung gleichsteht“. Es liegt nicht fern, an der Brauchbarkeit einer anwaltlichen Dienstleistung auch dann zu zweifeln, wenn die Erwiderung auf einen anwaltlichen Schriftsatz sich in der Verwendung von Textbausteinen erschöpft, die eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite nicht erkennen lässt.
Fest steht für uns jedenfalls, dass wir unsere Mandate weiterhin mit der gemäß § 43 BRAO erforderlichen Gewissenhaftigkeit eines Rechtsanwalts bearbeiten werden. Hierfür ist es für uns selbstverständlich, uns mit der notwendigen Gründlichkeit und in angemessener Tiefe mit dem Vorbringen der Gegenseite auseinanderzusetzen.