EuGH: „Irreführende“ Geschäftspraxis iSV Art. 6 Abs. 1 der RL 2005/29/EG erfordert Geeignetheit, den Verbraucher zu einer Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte
EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C-281/12
Leitsatz des Verfassers (Tenor des Urteils)
1. Eine Geschäftspraxis ist als „irreführend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) einzustufen, wenn diese Praxis zum einen falsche Angaben enthält oder den Durchschnittsverbraucher zu täuschen geeignet ist und zum anderen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
2. Art. 2 Buchst. k dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ sämtliche Entscheidungen erfasst, die mit der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts unmittelbar zusammenhängen.
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22, mit Berichtigung im ABl. 2009, L 253, S. 18).
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Trento Sviluppo srl (im Folgenden: Trento Sviluppo) und der Centrale Adriatica Soc. coop. arl (im Folgenden: Centrale Adriatica) auf der einen und der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (Wettbewerbs- und Kartellbehörde, im Folgenden: AGCM) auf der anderen Seite über eine von der AGCM als „irreführend“ eingestufte Geschäftspraxis der beiden Gesellschaften.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3. Nach dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 bezieht diese sich insbesondere auf Geschäftspraktiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen.
4. Gemäß dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie stellt sie ein einziges generelles Verbot jener unlauteren Geschäftspraktiken auf, die das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers beeinträchtigen.
5. Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es:
„… Das durch diese Richtlinie eingeführte einzige, gemeinsame generelle Verbot umfasst daher unlautere Geschäftspraktiken, die das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher beeinträchtigen. … Das generelle Verbot wird durch Regeln über die beiden bei weitem am meisten verbreiteten Arten von Geschäftspraktiken konkretisiert, nämlich die irreführenden und die aggressiven Geschäftspraktiken.“
6. Im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es:
„Es ist wünschenswert, dass der Begriff der irreführenden Praktiken auch Praktiken, einschließlich irreführender Werbung, umfasst, die den Verbraucher durch Täuschung davon abhalten, eine informierte und deshalb effektive Wahl zu treffen. …“
7. In Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2005/29 wird der Begriff „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ definiert als „die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“.
8. In Art. 2 Buchst. k der Richtlinie wird der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ definiert als „jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen“.
9 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte:
…
b) die wesentlichen Merkmale des Produkts wie Verfügbarkeit …
…“
Italienisches Recht
10. Das Decreto legislativo Nr. 206 betreffend das Verbrauchergesetzbuch (decreto legislativo n. 206 – Codice del consumo) vom 6. September 2005 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 162 vom 8. Oktober 2005) enthält einen Art. 21 Abs. 1 Buchst. b, der durch das Decreto legislativo Nr. 146 vom 2. August 2007 eingefügt wurde, mit dem u. a. die Richtlinie 2005/29 in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde. Dieser Artikel bestimmt:
„Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechende Angaben enthält oder wenn sie selbst mit sachlich richtigen Angaben in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte:
…
b) die wesentlichen Merkmale des Produkts wie Verfügbarkeit …
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
11. Trento Sviluppo betreibt in der Provinz Trentino (Italien) mehrere Supermärkte. Diese Supermärkte sind einer Supermarktkette, der COOP Italia, angeschlossen, der Trento Sviluppo selbst angehört.
12. Centrale Adriatica erbringt Dienstleistungen an Gesellschaften der COOP‑Italia‑Gruppe, der auch sie angehört.
13. Im März 2008 startete Centrale Adriatica an einigen Verkaufspunkten mit dem Zeichen der COOP Italia eine Sonderaktion, in deren Rahmen einige Waren zu vorteilhaften Preisen angeboten wurden.
14. Die Aktion lief vom 25. März bis zum 9. April 2008. In dem Werbeprospekt wurden „Preisnachlässe von bis zu 50 % und viele andere Sonderangebote“ genannt.
15. In diesem Werbeprospekt wurde u. a. ein Laptop zu einem Sonderpreis angeboten.
16. Am 10. April 2008 wies ein Verbraucher die AGCM darauf hin, dass diese kommerzielle Anzeige insoweit unrichtig sei, als das angebotene Informatikprodukt während des Zeitraums, für den das Sonderangebot gegolten habe, im Supermarkt in Trento, zu dem er sich begeben habe, nicht verfügbar gewesen sei.
17. Infolge dieses Hinweises leitete die AGCM gegen Trento Sviluppo und Centrale Adriatica ein Verfahren wegen unlauterer Geschäftspraktiken im Sinne der Art. 20, 21 und 23 des Decreto legislativo Nr. 206 vom 6. September 2005 betreffend das Verbrauchergesetzbuch ein. Dieses Verfahren führte zum Erlass einer Verfügung vom 22. Januar 2009, mit der gegen beide Gesellschaften eine Geldbuße verhängt wurde.
18. Beide erhoben gegen diese Verfügung Klage vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium), das beide Klagen abwies.
19. Trento Sviluppo und Centrale Adriatica legten gegen die Entscheidungen dieses Gerichts beim Consiglio di Stato Rechtsmittel ein.
20. Das vorlegende Gericht hat Zweifel hinsichtlich der Tragweite des Begriffs „irreführende Geschäftspraxis“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, ob die betreffende Geschäftspraxis, um als irreführend zu gelten, die Voraussetzung im letzten Teil des einleitenden Satzes von Art. 6 Abs. 1 erfüllen muss, wonach diese Geschäftspraxis geeignet sein muss, die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen. Es möchte wissen, ob diese Voraussetzung zu den beiden alternativen Voraussetzungen im ersten Teil des einleitenden Satzes, nämlich dass die Angaben falsch oder den Verbraucher zu täuschen geeignet sind, hinzukommt, oder ob es sich bei dieser Voraussetzung um einen weiteren Fall einer irreführenden Geschäftspraxis handelt.
21. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich das Problem der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 aus dessen voneinander abweichenden Sprachfassungen. Die italienische Fassung (in der der Ausdruck „e in ogni caso“ verwendet wird) und die deutsche Fassung (in der der Ausdruck „und … in jedem Fall“ verwendet wird) schienen sich auf eine allgemeine Vorschrift zu beziehen, nach der allein die Tatsache, dass eine Geschäftspraxis geeignet ist, die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen, für ihre Einstufung als irreführend ausreiche. Demgegenüber legten die englische Fassung (mit dem Ausdruck „and in either case“) und die französische Fassung („et dans un cas comme dans l’autre“) nahe, dass eine irreführende Geschäftspraxis nur vorliegen könne, wenn zum einen eine der beiden alternativen Voraussetzungen im ersten Teil des einleitenden Satzes von Art. 6 erfüllt sei und zum anderen die Voraussetzung, nach der die Geschäftspraxis geeignet sein muss, die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen.
22. Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 im Hinblick auf den Teil, in dem in der italienischen Fassung die Worte „e in ogni caso“ verwendet werden, in dem Sinne zu verstehen, dass es für die Feststellung des Vorliegens einer irreführenden Geschäftspraxis ausreicht, wenn eine der im ersten Teil dieses Absatzes genannten Bedingungen erfüllt sei, oder ist es für die Feststellung des Vorliegens einer solchen Geschäftspraxis erforderlich, dass auch die weitere Bedingung der Eignung der Geschäftspraxis zur Umlenkung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers erfüllt ist?
Zur Vorlagefrage
23. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Geschäftspraxis allein deshalb als „irreführend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 einzustufen ist, weil diese Praxis falsche Angaben enthält oder den Durchschnittsverbraucher zu täuschen geeignet ist, oder ob es darüber hinaus erforderlich ist, dass die Praxis geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
24. Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, den Durchschnittsverbraucher insbesondere in Bezug auf die wesentlichen Merkmale eines Produkts wie seine Verfügbarkeit täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
25. Hierzu ist festzustellen, dass zwar in der italienischen Sprachfassung der Ausdruck „e in ogni caso“ verwendet wird, der nach Ansicht des vorlegenden Gerichts seinem Wortlaut nach eine Art „Schlussklausel“ einführt, wonach allein die Tatsache, dass eine Geschäftspraxis geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers zu beeinflussen, ausreicht, um diese Geschäftspraxis als irreführend einzustufen, doch werden in der spanischen, der englischen und der französischen Fassung von Art. 6 Abs. 1 die Ausdrücke „y en cualquiera de estos casos“, „and in either case“ sowie „dans un cas comme dans l’autre“ verwendet. Dadurch, dass darin ausdrücklich auf beide Fälle des irreführenden Charakters der betreffenden Geschäftspraxis Bezug genommen wird, deuten diese drei Sprachfassungen darauf hin, dass die Geschäftspraxis den Verbraucher auch tatsächlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen muss, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
26. Nach ständiger Rechtsprechung kann die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder insoweit Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen. Ein solcher Ansatz wäre nämlich mit dem Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts unvereinbar. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. Urteile vom 12. November 1998, Institute of the Motor Industry, C‑149/97, Slg. 1998, I‑7053, Randnr. 16, und vom 25. März 2010, Helmut Müller, C‑451/08, Slg. 2010, I‑2673, Randnr. 38).
27. Was erstens die allgemeine Systematik von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 betrifft, ist festzustellen, dass die irreführenden Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 6 dieser Richtlinie eine präzise Kategorie von nach ihrem Art. 5 verbotenen unlauteren Geschäftspraktiken darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. April 2009, VTB-VAB und Galatea, C‑261/07 und C‑299/07, Slg. 2009, I‑2949, Randnr. 55, und vom 19. September 2013, CHS Tour Services, C‑435/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 37).
28. Gemäß Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie ist eine Geschäftspraxis unlauter, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen (Urteile VTB-VAB und Galatea, Randnr. 54, sowie CHS Tour Services, Randnr. 36).
29. Nach Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2005/29 wird die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte, als „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ angesehen. Folglich muss eine Praxis, um unlauter im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2005/29 zu sein, geeignet sein, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
30. Da die irreführenden Geschäftspraktiken nach Art. 6 der Richtlinie 2005/29 eine besondere Kategorie der unlauteren Geschäftspraktiken nach Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie darstellen, müssen sie zwangsläufig sämtliche Voraussetzungen dieser Unlauterkeit erfüllen und infolgedessen auch die Voraussetzung der Eignung der Praxis zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers, indem er zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst wird, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
31. Was zweitens das von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 verfolgte Ziel angeht, ist festzustellen, dass diese Richtlinie auf Art. 169 AEUV beruht und durch Angleichung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten soll. Nach ihrem siebten Erwägungsgrund bezieht sich die Richtlinie 2005/29 auf Geschäftspraktiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen. Gemäß dem elften Erwägungsgrund dieser Richtlinie stellt sie ein einziges generelles Verbot jener unlauteren Geschäftspraktiken auf, die das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers beeinträchtigen. Aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie geht hervor, dass mit den beiden bei Weitem am meisten verbreiteten Arten von Geschäftspraktiken, nämlich den irreführenden und den aggressiven Geschäftspraktiken, der Erlass besonderer Vorschriften zu ihrer Bekämpfung gerechtfertigt wurde. Nach dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie soll der Begriff „irreführende Geschäftspraktiken“ auch Praktiken umfassen, die den Verbraucher durch Täuschung davon abhalten, eine informierte und deshalb effektive Wahl zu treffen.
32. Daraus ergibt sich, dass die Richtlinie 2005/29 zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus ein generelles Verbot jener unlauteren Geschäftspraktiken aufstellt, die das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher beeinträchtigen.
33. Folglich muss eine Geschäftspraxis für die Einstufung als „irreführend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 insbesondere geeignet sein, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
34. Diese Auslegung wird im Übrigen durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt. Aus Randnr. 47 des Urteils vom 15. März 2012, Pereničová und Perenič (C‑453/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), und aus Randnr. 42 des Urteils CHS Tour Services geht nämlich hervor, dass eine Geschäftspraxis als irreführend im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 angesehen wird, sofern die Angabe irreführend ist und den Verbraucher voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ohne diese Praxis nicht getroffen hätte.
35. Um dem vorlegenden Gericht alle für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlichen Kriterien zur Verfügung zu stellen, ist zudem die Tragweite des Begriffs „geschäftliche Entscheidung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2005/29 zu bestimmen. Da es bei der Geschäftspraxis im Ausgangsverfahren um Angaben zur Verfügbarkeit eines Produkts zu einem vorteilhaften Preis während eines bestimmten Zeitraums geht, ist nämlich zu klären, ob den möglichen Kauf eines Produkts vorbereitende Handlungen wie der Weg des Verbrauchers zum Geschäft oder das Betreten des Geschäfts als geschäftliche Entscheidungen im Sinne der Richtlinie angesehen werden können.
36. Nach dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2005/29 wird der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ weit definiert. Danach ist eine geschäftliche Entscheidung nämlich „jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen will“. Dieser Begriff erfasst deshalb nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts.
37. Auch Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie spricht für diese Auslegung, da die Richtlinie nach dieser Bestimmung für unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts gilt.
38. Auf die Vorlagefrage ist deshalb zu antworten, dass eine Geschäftspraxis als „irreführend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 einzustufen ist, wenn diese Praxis zum einen falsche Angaben enthält oder den Durchschnittsverbraucher zu täuschen geeignet ist und zum anderen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Art. 2 Buchst. k dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ sämtliche Entscheidungen erfasst, die mit der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts unmittelbar zusammenhängen.
Kosten
39. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Eine Geschäftspraxis ist als „irreführend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) einzustufen, wenn diese Praxis zum einen falsche Angaben enthält oder den Durchschnittsverbraucher zu täuschen geeignet ist und zum anderen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Art. 2 Buchst. k dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ sämtliche Entscheidungen erfasst, die mit der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts unmittelbar zusammenhängen.