AG Hamburg: Höhe des Wertersatzes für parship.de „nicht plausibel“ – Parship durfte Berechnungsgrundlage nicht für rechtmäßig halten

Das AG Hamburg stellt fest, dass die Höhe des Wertersatzes nach Widerruf eines Vertrages über die Nutzung von parship.de nicht plausibel ist. Aus diesem Grund durfte Parship diese Forderung auch nicht für rechtmäßig halten. Bemerkenswert ist die Begründung des Gerichts für den Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren, da dieser häufig ausschließlich bei Vorliegen von Verzug (und sonst gar nicht) zugesprochen wird. Die Richterin schließt sich unserer Argumentation an und bejaht eine schuldhafte Pflichtverletzung durch Parship, die zur Ersatzpflicht führt.   


AG Hamburg, Urteil vom 17.10.2017, 6 C 17/17


Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht dazu verpflichtet ist, an die Beklagte 240,94 € zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der vorgerichtlichen Inanspruchnahme ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von 83,54 € freizustellen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4 . Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden,  wenn nicht d er Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Berufung wird zugelassen.

6. Der Streitwert wird auf 240 ,94 € festgesetzt.


Tatbestand

Die Parteien streiten über Bestehen und Höhe eines Wertersatzanspruchs der Beklagten nach
Widerruf eines Online-Partnervermittlungsvertrags durch den Kläger.

Die Beklagte betreibt die weltweit tätige Online-Partnervermittlung Parship unter der Domain
www.parship .de. Sie bietet ihren Nutzern zwei Formen der Mitgliedschaft an: Die kostenlose Basis-Mitgliedschaft und die zahlungspflichtige Premium-Mitgliedschaft für 6, 12 oder 24 Monate. Wer sich für eine Mitgliedschaft entscheidet, für den wird auf Basis eines dreißigminütigen Persönlichkeitstests zu partnerschaftsrelevanten Eigenschafen, Gewohnheiten und Interessen eine Auswahl von Partnervorschlägen erstellt. Der Test wurde unter der Leitung eines Diplompsychologen erstellt und entwickelt. Es wurden Erkenntnisse der Soziologie und der Psychologie sowie Erfahrungen aus der therapeutischen Praxis berücksichtigt. Premium-Mitglieder erhalten das Testergebnis in Form eines 50-seitigen „Persönlichkeitsgutachtens „, welches von Basis-Mitgliedern gegen ein Entgelt von 149,00 € als Einzelleistung erworben werden kann.

Die Premium-Mitgliedschaft ermöglicht es den Mitgliedern , während der Dauer ihrer Mitgliedschaft mit jedem anderen Premium-Mitglied über die Plattform Kontakt aufzunehmen und in diesem Rahmen Nachrichten und Bilder auszutauschen. Zur Premium-Mitgliedschaft gehört des Weiteren die sog. Kontaktgarantie, mit der dem Nutzer das Zustandekommen einer bestimmten Anzahl von Kontakten zu anderen Nutzern garantiert wird, z. B. das Zustandekommen von 5 Kontakten bei einer Laufzeit von 6 Monaten. Als Kontakt zählt jede von dem betreffenden Nutzer gelesene Freitextantwort auf eine von ihm verschickte Nachricht sowie eine vom Nutzer erhaltene Nachricht, in dessen weiteren Verlauf er mindestens zwei Freitextnachrichten mit einem anderen Nutzer ausgetauscht und gelesen hat. Für den Fall, dass der Nutzer am Ende der Vertragslaufzeit mit weniger Nutzern in Kontakt gestanden haben sollte, sichert die Beklagte eine kostenlose Verlängerung der Premium-Mitgliedschaft um sechs Monate zu .

Am 13.11.2016 schloss der Kläger mit der Beklagten über das Internet eine Premium-Mitgliedschaft mit 6 Monaten Laufzeit zu einem Produktpreis von 321,27 € ab , welche die Beklagte bestätigte. Bei Vertragsabschluss wird der Nutzer auf die Geltung der AGB, der Widerrufsbelehrung und  der Regelung zum Wertersatz sowie der produktbezogenen Vertragsinhalte hingewiesen. Die Wörter ,,AGB“, ,,Widerrufsbelehrung und die Regelung zum Wertersatz“ sowie „produktbezogene Vertragsinhalte“ sind dabei als aktive Links kenntlich gemacht. Unter dem Link „Widerrufsbelehrung“ bzw. ,,Regelung zum Wertersatz“ öffnet sich für den Nutzer ein Fenster mit Ziff. 11 der AGB „Widerrufsbelehrung, Ausschluss des Widerrufsrechts“. Unter dem Link „produktbezogene Vertragsinhalte“ weist die Beklagte darauf hin, dass sie sich im Falle eines Widerrufs die Einforderung eines Wertersatzes vorbehalte. Zur Berechnung des Wertersatzes führt die Beklagte aus:

,,Hierzu wird geprüft, wie viele der zugesicherten Kontakte innerhalb der Widerrufsfrist von Ihnen realisiert wurden. Auf Basis dieses Werts wird die Höhe des zu leistenden Wertersatzes bestimmt. Dabei ist der Wertersatz begrenzt auf maximal drei Viertel des gesamten Mitgliedsbeitrags.“

Die Beklagte bestätigt dem Nutzer per E-Mail den Vertragsschluss. Die E-Mail enthält erneut die Widerrufsbelehrung nach Ziff. 11.1 und 11.2 der AGB, außerdem den in den „produktbezogenen Vertragsinhalten“ enthaltenen Passus zur Berechnung des Wertersatzes. Nach Eingabe seiner persönlichen Rechnungsdaten wird der Nutzer zum Abschluss des Buchungsprozesses gebeten, durch Setzen eines Häkchens seine „sofortige Nutzung von Parship“ zu bestätigen. Das darunter eingeblendete Textfeld lautet:

,,Ich möchte mit meiner Partnersuche bei Parship beginnen. Ich möchte, dass Parship vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausübung der beauftragten Dienstleistung beginnt. Mir ist bekannt, dass ich im Falle des Widerrufs Wertersatz für die bereits erbrachten Dienstleistungen leisten muss. Dabei ist der Wertersatz begrenzt auf max. drei Viertel des Mitgliedsbeitrags .“

Für die genaue Ausgestaltung der Webseite wird auf Anlage B 1a (BI. 134 d.A.) Bezug genommen. Setzt der Nutzer das Häkchen nicht und klickt auf die Schaltfläche „Weiter“, leuchtet ein roter Balken mit dem Text „Bitte stimmen Sie der sofortigen Nutzung von Parship zu.“ auf, wie sich aus Anlage B 8 (BI. 203 d.A.) ergibt.

Am 27.11.2016 widerrief der Kläger gegenüber der Beklagten seine auf den Vertragsschluss gerichtete vorangegangene Erklärung vom 13.11.2016. Mit E-Mail vom 29.11.2016 (Anlage K 4, BI. 15 d.A.) bestätigte die Beklagte den Widerruf und stellte dem Kläger verbleibenden Wertersatz in Höhe von 240,94 € in Rechnung. Zur Höhe der geltend gemachten Forderung führte sie aus:

,,Ihr Produktpreis: 321,27 EUR (ohne eventuelle Aufschläge für Teilzahlungen)
Laufzeit Ihres Produktes (Monate): 6
Laufzeitbezogene garantierte Kontakte: 5
Davon zustande gekommene Kontakte: 6
Bereits von Ihnen gezahlt: 321,27 EUR
Wertersatz: 240,94 EUR
Rückerstattung: 80,33 EUR.“

Der Kläger ließ daraufhin den von seinem Konto bereits eingezogenen Betrag in Höhe von 321,27 € zurückbuchen und überwies der Beklagten den als Rückerstattung erhaltenen Betrag von 80,33 € zurück. Mit E-Mail vom 03.12.2016 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung der zurückgebuchten 321,27 € auf. Daraufhin ließ der Kläger die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 05.12.2016 (Anlage K 7, BI. 23 ff d.A.) unter Fristsetzung vergeblich auffordern, zu erklären, dass sie die Forderung in Höhe von 240,94 € nicht mehr weiter geltend mache und ihn von den Kosten der vorgerichtlichen Inanspruchnahme seiner Anwälte in Höhe von 83, 54 € freizustellen. Die Beklagte hielt mit E-Mail vom 08.12.2016 gegenüber dem Klägervertreter (Anlage K 8, BI. 28 d.A.) an ihrer Wertersatzforderung fest.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte könne keinen Wertersatz fordern, da der Kläger kein (wirksames) Verlangen im Sinne des § 357 Abs. 8 S. 1 BGB dahin gestellt habe, bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung zu beginnen. Außerdem sei die Berechnung des Wertersatzes allein nach vermittelten Kontakten falsch. Mit der erfolgten Berechnung nur nach Kontakten habe die Beklagte ihr Recht verwirkt, weitere Berechnungsgrundlagen nachzuschieben.


Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, Wertersatz in Höhe von 240,94 € für die Inanspruchnahme von 5 zugesicherten Kontakten auf parship.de von dem Kläger zu fordern,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten der vorgerichtlichen Inanspruchnahme seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 83,54 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.


Sie ist der Ansicht, dass sich ihr Wertersatzanspruch aus der Multiplikation des Gesamtpreises in € mit dem Quotienten aus den zustande gekommenen und den bei Vertragsschluss garantierten Kontakten errechne, wobei der Quotient nicht größer sein könne als 1 und der Wertersatzanspruch maximal ¾ des Gesamtpreises betrage. Die Kontaktgarantie sei eines der Hauptmerkmale der Leistung der Beklagten. Die Berechnungsmethode der Beklagten führe auch nicht zu einer Entwertung des Widerrufsrechts. In Bezug auf die Information des Kunden über den angemessenen Wertersatz habe sich die Beklagte der Musterbelehrung bedient.

Das Setzen des Häkchens, mit dem vom Kunden zum Ausdruck gebracht werde, dass mit der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen werden solle, stelle ein wirksames Verlangen im Sinne des § 357 Abs. 8 S. 1 BGB dar. Warte der Kunde bis zum Ende der Widerrufsfrist und nutze erst dann die Premium-Leistungen der Beklagten, ende die Laufzeit erst nach der Zahl der als Laufzeit vereinbarten Monate, berechnet ab dem Ende der Widerrufsfrist.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).

I. Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht für den negativen Feststellungsantrag ein Feststellungsinteresse. Ein Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Dies trifft hier zu, da das erstrebte Urteil geeignet ist, die Unsicherheit, ob die Wertersatzforderung, deren sich die Beklagte berühmt, besteht, zu beseitigen.

II. Die Klage ist auch begründet.

1. Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von Wertersatz in Höhe von
240,94 € gemäß § 357 Abs. 8 S. 1 BGB. Danach schuldet der Verbraucher, der einen mit einem Unternehmer geschlossenen Fernabsatzvertrag über die Erbringung von Dienstleistungen widerruft, dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung.

Zwischen den Parteien ist am 13.11 .2016 über die Online-Plattform der Beklagten ein Fernabsatzvertrag über die Erbringung von Dienstleistungen geschlossen worden, bei dem dem Kläger nach §§ 355, 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zustand, da er Verbraucher ist und die Beklagte Unternehmerin im Sinne der §§ 13, 14 BGB. Der Kläger hat sein Widerrufsrecht am 27.11.2016  fristgerecht ausgeübt.

Doch setzt der Wertersatzanspruch des Unternehmers nach § 357 Abs. 8 S. 1 BGB darüber hinaus zum einen voraus, dass der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Zum anderen besteht der Anspruch aus § 357 Abs. 8 S. 2 BGB nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1  und 3 EGBGB ordnungsgemäß informiert hat. Beide Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

a. Selbst wenn der Kläger während des Buchungsvorgangs durch Setzen des Hakens bestätigt hat, dass die Beklagte noch vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausübung der beauftragten Dienstleistung beginnen sollte, stellte das Setzen dieses Hakens kein hinreichendes Verlangen im Sinne des § 357 Abs. 8 S. 1 BGB dar.

Bei der Erklärung handelt es sich um eine vorformulierte einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung, die der AGB-Kontrolle unterliegt. Hieran ändert nichts, dass der Vertragspartner aktiv durch Setzen eines Häkchens mitwirkt (BGH, Urteil vom 15.05.2014, III ZR 368/13, Rn. 13). Dieser Inhaltskontrolle hält die hier streitige Erklärung nicht stand. Denn ein Verwender von AGB, der seine AGB so gestaltet, dass dem Vertragspartner suggeriert wird, er müsse dem sofortigen Beginn der Leistung noch vor Ablauf der Widerrufsfrist durch Setzen eines Häkchens zustimmen, benachteiligt den Vertragspartner unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB. So liegt es hier:

Sowohl der Aufbau der sich aus Anlage B 1 a ergebenden Website der Beklagten als auch deren Wortlaut verschleiern, dass der Vertragspartner eine Wahl hat, ob er den sofortigen Beginn der Leistung wünscht oder nicht. Dass der Vertragspartner ein Häkchen setzen muss, mit dem er erklärt, die Beklagte solle mit ihren Leistungen sofort beginnen, ändert hieran nichts. Es ist gerichtsbekannt, dass auf einer Vielzahl von Websites das Setzen eines Häkchens – etwa für die Bestätigung, dass AGB zur Kenntnis genommen worden sind – zwingend erforderlich ist, damit ein Buchungsvorgang abgeschlossen werden kann – sogenanntes „Pflichtfeld“. Die Gestaltung der hiesigen Website suggeriert nichts anderes. Insbesondere die Ausgestaltung der Website dahin, dass das Kästchen, das angekreuzt werden muss, mit „Bitte bestätigen Sie Ihre sofortige Nutzung von Parship“ überschrieben ist, verdeutlicht die scheinbare Notwendigkeit des „Hakensetzens“. Daran ändert nichts, dass dieser Aufforderung ein „bitte“ vorangestellt wird, und diese bei der Aufforderung zur Abgabe der Rechnungsdaten, die oberhalb des hier streitgegenständlichen Passus angefordert werden, fehlt. Dass der Buchungsvorgang auch ohne diesen Haken fortgesetzt werden kann und der Vertragspartner in diesem Falle nicht das Risiko trägt, während der Widerrufsfrist Wertersatz leisten zu müssen, ist nicht erkennbar.

Zwar heißt es eingangs der Website „Ihre Bestellung wurde erfolgreich abgeschlossen. Eine Zusammenfassung Ihrer Bestellung erhalten Sie per E-Mail“. Nachfolgend wird der Kunde jedoch aufgefordert, seine Rechnungsdaten einzugeben. Die Eingabe der Rechnungsdaten ist sodann  mit einem Klick auf den am Ende der Seite befindlichen Button „Weiter“ abzuschließen. Aus der Sicht des Kunden gehört die Eingabe der Rechnungsdaten und der anschließende Klick auf den Button „Weiter“ zum Buchungsvorgang, der nur durch das Betätigen des Buttons „Weiter“ beendet werden kann. Diese Einschätzung des Kunden wird bestätigt, wenn er den Button „Weiter“ aktiviert, ohne zuvor das Häkchen unter der Aufforderung „Bitte bestätigen Sie Ihre sofortige Nutzung von Parship“ gesetzt zu haben. Dann leuchtet ein roter Balken mit dem Text „Bitte stimmen Sie der sofortigen Nutzung von Parship zu.“ auf. Nirgendwo wird der Kunde demgegenüber darauf hingewiesen, dass er den aus seiner Sicht nicht abgeschlossenen Buchungsvorgang schlicht abbrechen und den Ablauf der Widerrufsfrist abwarten könnte, um dann erst die vollen Leistungen der Beklagten zu erhalten. Deshalb kann der Kunde die erneute und zusätzliche Aufforderung „Bitte stimmen Sie der sofortigen Nutzung von Parship zu“ nur als Pflichtfeld begreifen. Die Gestaltung des Buchungsvorgangs seitens der Beklagten lässt dem Kunden im Ergebnis keine andere Wahl, als das Häkchen zu setzen. Der damit verbundenen Erklärung des Kunden, die Beklagte solle mit ihren Leistungen sofort beginnen, wird damit allerdings zugleich die Qualität als „Verlangen“ genommen.

b. Es fehlt zudem an einer ordnungsgemäßen Information des Verbrauchers über den als Folge des Widerrufs zu leistenden Wertersatz gemäß § 357 Abs. 8 S. 2 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 3 EGBGB.

Bei formaler Betrachtung ist die Beklagte dieser Informationspflicht nachgekommen, denn sie hat in ihren AGB unter Ziffer 11.1 über das Widerrufsrecht und unter Ziffer 11.2. über die Widerrufsfolgen in der Weise belehrt, wie es dem Muster der Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB im Falle eines Vertrags zur Erbringung von Dienstleistungen (Gestaltungshinweis 6) entspricht. Insbesondere enthält die Widerrufsfolgenbelehrung den Hinweis darauf, dass der Kunde einen angemessenen Betrag zu zahlen hat, wenn er verlangt hat, dass die Dienstleistungen während der Widerrufsfrist beginnen sollen.

Ebensowenig ist zu beanstanden, dass es in der Widerrufsfolgenbelehrung weiter heißt, dass der angemessene Betrag dem Anteil der bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kunde die Beklagte von der Ausübung des Widerufsrechts unterrichtet, bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Vertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht. Auch dies wiederholt lediglich den Text der Musterbelehrung in der Gestaltungsvariante 6.

Nimmt man allerdings hinzu, was die Beklagte auf ihrer Website zum Wertersatz und dessen Berechnung ausführt, so ist die Belehrung über die Widerrufsfolgen nicht mehr ordnungsgemäß,
denn die ausschließliche Berechnungsgrundlage für den Wertersatz soll die Zahl der bis zur Widerrufsausübung geknüpften Kontakte in Relation zur Zahl der garantierten Kontakte sein. Die Anwendung dieses Kriteriums als Berechnungsgrundlage führt nicht zu einem angemessenen
Betrag und ist als alleinige Berechnungsgrundlage nicht sachgerecht und geeignet (vgl. insoweit
übereinstimmend HansOLG Hamburg, Urteil vom 02.03.2017 – Az.: 3 U 122/14 sowie LG Hamburg, Urteil vom 22.07.2014 – Az.: 406 HKO 66/14). So führt das HansOLG in seinem Urteil vom 22.07.2017 u.a. aus:

,,Die Unzulänglichkeit der Berechnung der Beklagten zeigt sich auch daran, dass sie meint, dass der vertraglich vereinbarte Gesamtpreis bereits dann vollständig geschuldet sei, wenn der widerrufende Nutzer innerhalb der Widerrufsfrist die ihm garantierten Kontakte in Anspruch genommen hat. Im Rahmen dieser Berechnung berücksichtigt die Beklagte nicht, dass sich die von ihr angebotene und vertraglich vereinbarte Leistung Partnervermittlung nicht in der Erbringung der Zahl der garantierten Kontakte beschränkt, sondern ein zentrales Element der Leistung die weitere zeitbezogene Nutzung der Online-Plattform und damit auch die Kontaktaufnahme zu weiteren Mitgliedern und gegebenenfalls zu neuen Mitgliedern ist. Das hat das Landgericht zutreffend erkannt.“

Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 22.07.2014 dazu weiter ausgeführt:

,,Die von Beklagtenseite garantierte Mindestzahl an Kontakten macht dabei ersichtlich nicht den Kern des Leistungsversprechens der Beklagten aus. Kein Nutzer würde für die Garantie von 5 oder 7 Kontakten, die auch in einer Absage bestehen können, mehrere hundert Euro investieren. Kern des Leistungsversprechens der Beklagten ist vielmehr, über den vereinbarten Zeitraum mit Unterstützung der Beklagten unter den anderen Nutzern des Online-Angebotes der Beklagten nach einem Partner suchen zu können.“

Die von der Beklagten auf ihrer Website und den „produktbezogenen Vertragsinhalten“ genannte und erläuterte Methode zur Berechnung des Wertersatzes führt regelmäßig zu überhöhten Wertersatzforderungen der Beklagten. Sie ist daher nicht geeignet, den angemessenen Betrag, den der Kunde als Wertersatz schuldet, zu ermitteln.

Informiert sich der Kunde über diese Berechnungsmethode vor Ausübung des Widerrufsrechts, so wird die von der Beklagten auf ihrer Website und den „produktbezogenen Vertragsinhalten“ dem Kunden vermittelte Berechnung des Wertersatzes zwar der Warnfunktion der Widerrufsfolgenbelehrung insofern gerecht, als der Kunde von einem übereilten – die Folge der Verpflichtung zum Wertersatz außer Acht lassenden – Widerruf abgehalten wird. Sie hält den rational über einen Widerruf entscheidenden Kunden aber zugleich davon ab, den Widerruf auszuüben. Hat der Kunde bis zur ins Auge gefassten Ausübung des Widerrufs bereits die Zahl der garantierten Kontakte realisiert und rechnet daher mit einem Wertersatzanspruch der Beklagten in Höhe von 75 % des für die Gesamtlaufzeit vereinbarten Entgelts, wird er vom Widerruf Abstand nehmen, denn er würde für die weiteren 25 % des vereinbarten Entgelts während der gesamten Restlaufzeit die Leistungen der Beklagten weiterhin uneingeschränkt in Anspruch nehmen können. Ein Widerruf stellt sich daher nach den Angaben der Beklagten zur Höhe und Berechnung des Wertersatzes bei Widerruf als ,,schlechtes Geschäft“ dar.

Die vorangehend beschriebenen Auswirkungen lassen zugleich erkennen, dass die von der Beklagten auf ihrer Website und den „produktbezogenen Vertragsinhalten“ vermittelte Berechnungsmethode nicht nur inhaltlich falsch ist, weil sie nicht zu einem angemessenen Betrag als Wertersatz führt, sondern zudem Auswirkungen auf die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kunden hat und ihn gegebenenfalls davon abhält, sein Widerrufsrecht auszuüben.

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die Darstellungen der Beklagten auf ihrer Website und den „produktbezogenen Vertragsinhalten“ seien doch gar nicht Teil der Widerrufsfolgenbelehrung. Im Zuge des Buchungsvorgangs, der in dem Vertragsschluss mündet, hat der Kunde nicht nur die Geltung der AGB der Klägerin mit der Widerrufsbelehrung und der Widerrufsfolgenbelehrung zu bestätigen, sondern auch die Geltung der „produktbezogenen Vertragsinhalte“. Hinzu kommt, dass die Beklagte mit der Auftragsbestätigung zusätzlich eine Widerrufsbelehrung übermittelt, die auch die Widerrufsfolgen darstellt. Unmittelbar im Anschluss an die Widerrufsfolgenbelehrung und den Passus zum Ausschluss des Widerrufsrechts für Käufer des Persönlichkeitsportraits in Buchform stellt die Beklagte nochmals die Berechnung des Wertersatzes dar, wobei auf die Zahl der realisierten Kontakte zu den garantierten Kontakten abgestellt wird. Wiederum im Anschluss daran wird die Kontaktgarantie beschrieben. Diese Ausführungen zum Wertersatz und zur Kontaktgarantie stellen sich damit als Erläuterung zur vorangegangenen Widerrufsfolgenbelehrung dar und führen dazu, dass diese nicht mehr im Einklang mit Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 und 3 EGBGB steht.

§ 357 Abs. 8 S. 2 BGB verlangt eine ordnungsgemäße Information nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 EGBGB. Ob diese Information ordnungsgemäß ist, beurteilt sich nicht nur nach dem, was die Beklagte im Rahmen ihrer „Widerufsbelehrung“ als „Widerrufsfolgen“ darstellt. Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung dessen vorzunehmen, was die Beklagte zu den Widerrufsfolgen ausführt. So wie eine Widerrufsbelehrung durch Zusätze / Ergänzungen unrichtig werden kann (vgl. BGH NJW 2002, 3396), kann auch eine Verbraucherinformation im Sinne des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 EGBGB dadurch unrichtig werden, dass der Unternehmer sie inhaltlich unzutreffend ergänzt / erläutert, wie vorliegend durch die Beklagte mit ihren Ausführungen zur Berechnung des Wertersatzes geschehen. Im Übrigen geht die Beklagte selbst in ihren Schreiben an die Kunden, mit denen sie den Widerruf bestätigt und Wertersatz verlangt / berechnet, davon aus, dass ihre Ausführungen zum Wertersatz Teil der vom Kunden akzeptierten Widerrufsbelehrung sind (vgl. Anlage K1 ).

Dort heißt es nämlich:

,,Diese Kontakte sind gemäß der von Ihnen bei der Bestellung akzeptierten Widerrufsbelehrung und den darin enthaltenen Regelungen zum Wertersatz zu erstatten“.

Die Beklagte kann nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass ihre Darstellung und Berechnung des Wertersatzes gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB unwirksam ist. Der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann sich nicht auf die Unwirksamkeit einer von ihm gestellten AGB berufen und darf aus einer solchen Unwirksamkeit keine Vorteile ziehen (vgl. BGH MDR 2016, 1013).

2. Der Anspruch des Klägers, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 € freizustellen, weil die Beklagte unberechtigte Wertersatzansprüche gegen ihn geltend gemacht hat, ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.

Zwar begründet die Geltendmachung unbegründeter Ansprüche nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Ersatz der zur außergerichtlichen Abwehr des Anspruchs entstandenen Rechtsanwaltskosten. Anders stellt sich dies jedoch im Rahmen bestehender Schuldverhältnisse dar. Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht zusteht, verletzt ihre vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Da nach hat jede Vertragspartei auf die Rechte und Interessen der anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Zu diesen Rechten und Interessen gehört auch das Interesse des Schuldners, nicht in weitergehendem Umfang in Anspruch genommen zu werden als dies berechtigt ist. (Vgl. hierzu Urteil des BGH v. 16.01.2009, V ZR 133/08, zitiert nach juris, Rn. 15, 17).

Hier hat die Beklagte dem Kläger gegenüber ihre vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt, indem sie – wie unter 1. ausgeführt – unberechtigte Wertersatzansprüche gegen ihn geltend gemacht hat. Der Kläger durfte sich veranlasst sehen, den Klägervertreter mit der außergerichtlichen Abwehr seiner Ansprüche zu beauftragen. Eine Haftung der Beklagten für die daraus resultierenden Kosten scheidet auch nicht gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB deshalb aus, weil sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hätte. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. a.a.O., Rn. 20) hat die Vertragspartei, die unberechtigte Ansprüche geltend macht, diese Pflichtverletzung zwar nicht schon dann nicht zu vertreten, wenn sie nicht erkennt, dass ihre Forderung in der Sache nicht berechtigt ist, sondern erst, wenn sie ihren eigenen Rechtsstandpunkt nicht mehr als plausibel ansehen durfte. Letzteres ist hier indes anzunehmen.

Dies gilt zwar nicht, soweit die Beklagte der Rechtsansicht ist, dass ihr dem Grunde nach ein Wertersatzanspruch zustehe. Denn dazu, ob der Beklagten ein Wertersatzanspruch insgesamt nicht zusteht, weil es schon an einem ausdrücklichen Verlangen im Sinne von § 357 Abs. 8 S. 1 BGB und einer ordnungsgemäßen Information im Sinne von § 357 Abs. 8 S. 2 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 und 3 EGBGB fehlt, werden schon von den einzelnen Abteilungen des Amtsgerichts unterschiedliche Ansichten vertreten.

Als nicht mehr plausibel durfte die Beklagte ihren Rechtsstandpunkt jedoch insoweit ansehen, als die Höhe des von ihr geltend gemachten Wertersatzanspruchs betroffen ist. Dass die von ihr zugrunde  gelegte Berechnungsmethode allein nach vermittelten Kontakten nicht dem nach dem Gesetz der Berechnung zugrunde zu legenden Maßstab – dem objektiven Wert der empfangenen Leistung – entspricht, sondern zu weit überhöhten Wertersatzforderungen der Beklagten führt, weil sie ein zentrales Element der Leistung, nämlich die zeitbezogene Nutzung der Online-Plattform, völlig außer Betracht lässt, liegt auf der Hand. Jedenfalls nach Erlass des landgerichtlichen Urteils vom 22.7.2014 in der Sache 406 HKO 66/14, dessen diesbezüglichen Erwägungen sich das Hans OLG Hamburg (a.a.O.) angeschlossen hat, konnte die Beklagte ihre Berechnungsgrundlage nicht mehr für rechtmäßig halten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt den §§ 708 Nr. 11 , 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 ZPO.

Die Berufung war nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, um eine einheitliche Rechtsprechung im Bezirk des HansOLG Hamburg sicherzustellen. Die Frage, ob die Beklagte im Falle eines fristgerechten Widerrufs Wertersatz verlangen kann und gegebenenfalls in welcher Höhe, wird von den einzelnen Abteilungen des Amtsgerichts Hamburg unterschiedlich beurteilt (vgl. z.B. Urteil vom 01.06.2017 in der Sache 49 C 100/17, mit dem ein Wertersatz teilweise zuerkannt worden ist).


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